Der Yunnan-Sichuan-Tibet-Highway ist einer der legendäreren Highways Chinas. Ihn zu erwähnen sorgt für große Augen. Bei denen, die noch nie dort waren gleichermaßen wie bei denen, die ihn schon befahren haben. Bei Ersteren vor Abenteuerlust und Hinwollen, bei der 2. Gruppe vor lebhafter Erinnerung an diese Straße mit der unspektakulären Nummer G312.

Warum?

Wie es der Name vermuten lässt, verläuft der Yunnan-Sichuan-Tibet-Highway von der südlichen Provinz Yunnan über den dünn besiedelten Westen Sichuans bis hinauf nach Tibet, wo man nach mehr als 2.000 Kilometern die Hauptstadt Lhasa erreicht. Die Strecke führt entlang der Ausläufer des Himmalaya-Hochgebirges und verläuft den größten Teil auf Höhen ab 3.000 Metern ü.M. Die zu überquerenden Bergpässe steigen in aufeinanderfolgenden Haarnadelkurven auf bis zu 5.000 Meter an. Die Aussichten sind beeindruckend und die Landschaft verändert sich quasi mit jedem Kilometer. Im Winter sind die Straßen oft tagelang unpassierbar und auch bei starkem Regen kann es gut sein, dass man mehrere Stunden feststeckt.
Wem das noch nicht spektakulär genug ist: abschnittsweise sind die Straßen nur Schotter- oder Lehmpisten, Fahrbahnmarkierungen gibt es nicht und neben der Fahrbahn geht es meist begrenzungslos mehrere hundert Meter steil abwärts. Der chinesische Fahrstil trägt vielleicht auch seinen Teil zum führenden Rang in den Unfallstatistiken bei…

All diese Eigenschaften zusammen machen die Straße laut Reiseliteratur zu einer der schönsten, höchsten, spektakulärsten wie auch zu einer der aufregendsten und gefährlichsten Straßen der Welt. Wir haben sie abschnittsweise befahren und glauben beides auf’s Wort.

IM BUS MIT JACKIE CHAN

Insgesamt waren wir 11 Tage in 5 Etappen unterwegs. Von Leshan aus führt uns unser Weg zunächst in 2 Bustagen à jeweils 9 Stunden nach Westen. Unser erster Bus ist vollklimatisiert und komfortabel. Er ist sogar mit einem TV ausgestattet. In diesem laufen die komplette Fahrt über chinesische Kongfu-Filme. Jackie Chan sitzt quasi zwischen uns, da wir direkt unter einem der Lautsprecher sitzen… Biene ist trotzdem froh, dass keine Karaoke läuft, das hatte sie nämlich schon auf einer anderen Fahrt in 2009 und gegen lauthals singende Chinesen kommen auch nicht Jackie Chan´s Kampfstöhner an 😀 Auch am zweiten Tag erwischen wir einen recht komfortablen Bus, was wir durchaus zu schätzen wissen, da die Stoßdämpfer nun schon mehr gefordert werden.

WE GO WEST

Die Landschaft auf diesem zweiten Abschnitt verwandelt sich von ineinander übergehenden Städten über tiefe Schluchten in weites Grasland. Auf steilen Bergkämmen geht es hinauf auf 4.000 Meter und mit jedem Höhenmeter kam uns der Himmel bildlich ein Stückchen näher vor und die Luft wurde dünner, klarer und reiner. Zunehmend grasen Yakherden neben der Straße und die Siedlungen sind schon von weitem zu sehen mit ihren weissen Blockhäusern und schwarzen Dächern. In dieser Gegend wird Grüntee zu Buttertee, ni hao zu tashi delegh und der in China weit verbreitete Konfuzinismus geht in Buddhismus über. Für Tibeter ist diese Region die tibetische Provinz Kham, die das östliche Drittel des tibetischen Hochplateaus einnimmt. Für uns als Reisende ist diese Region – ohne politische Wertung, sondern subjektiv aufgrund unserer Eindrücke – ebenfalls zu Tibet gehörig.

Deshalb haben wir unsere Erlebnisse auf unserem mehrtägigen Zwischenstopp in Kangding und in dem Städtchen Litang in einem Extra-Bericht festgehalten: Die vergessene tibetische Provinz Kham

Bei Litang teilt sich der Highway in den nördlichen und den südlichen Highway. Für Ausländer (auf chinesischen Schildern auch oft taktvoll als „Aliens“ betitelt) ist der Highway nur streckenweise geöffnet. Richtung Norden endet die Reise 38 km weiter am Grenzübergang in die autonome Region Tibet (TAR). Als nicht-chinesischer Staatsbürger bekommt man für die weitere Strecke keine Bustickets und auch die hier zahlreich stationierten Polizisten machen nicht den Eindruck, als würden sie ab und an ein Auge zudrücken. Die Einreise in die TAR ist streng reglementiert und für Ausländer nur per Flugzeug oder mit dem Zug vom Qinghai-Hochplateau her erlaubt, nicht aber überland von Sichuan aus.

DURCH DIE HINTERTÜR NACH YUNNAN

Daher biegen wir hier auf den Highway nach Süden ab, um weiter in die Provinz Yunnan zu reisen. Unser nächstes Ziel heißt Shangri-La …ohne „Hotel“ hinten dran 🙂
Für die 400 km dorthin benötigen wir 2 weitere Tage. Zunächst geht es in 8 Stunden knapp 250 km weit. Von 4.000 Höhenmeter geht es hinab auf 3.300 Meter. Langsam verändert sich die Landschaft wieder – aus der hochalpinen Geröll- und Felsenhängen mit tiefen Schluchten werden mehr und mehr Nadelwälder, vereinzelt durchzogen von Flüssen und grünen Wiesen. Die weite, für chinesische Verhältnisse noch sehr ursprüngliche Berggegend hier ist bis heute wenig entwickelt und wir sehen beim Blick aus dem auf und ab hüpfenden Busfenster nur vereinzelt kleinere Hütten.

Nach einer Übernachtung auf halber Strecke in Xiangcheng sind es nochmals 9 Stunden über Stock und Stein hinunter nach Shangri-La. Und unserem Gefühl nach fühlen wir jeden einzelnen dieser Steine. Die Straßen sind schon lange nicht mehr eben oder geteert, sondern wilde Schotterpisten und auch der Standard der Busse ist nicht mit den ersten beiden zu vergleichen. Die 9-stündige Rüttelmassage ist sozusagen im Fahrtpreis inklusive. Dafür gibt es aber auch keine Kongfu-Filme. 😀

DER SEHNSUCHTSORT SHANGRI-LA

Diesen sagenumwobenen Ort gibt es tatsächlich. Zumindest, wenn es nach den chinesischen Tourismusbehörden der Provinz Yunnan geht 😀 Diese erklärten Anfang der 90er-Jahre den ursprünglich Zhongdian benannten Ort zu dem Ort, an dem der später verfilmte Roman „Lost Horizon“ von James Hilton spielt.

Dass die fiktive Handlung an einem fiktiven Ort statt findet, tat dem daraus resultierenden Hype um diesen Ort keinen Abbruch. Nach den beiden Orten Dali und Lijiang entwickelte sich so auch Shangri-La Anfang der 90er Jahre zu einem Mekka für individuell reisende Touristen. In den letzten Jahren entdeckten chinesische Touristengruppen das ehemals kleine Dörflein für sich, gleichzeitig flachten die Ströme internationaler Besucher etwas ab. Zurück geblieben sind eine schöne Altstadt mit rund 300 Jahre alten Holzhäusern; viele Cafés, in denen sich neben grünem Tee auch Latte Macchiato auf den Menüs findet und eines der bedeutendsten buddhistischen Klöster Westchinas. Tragischerweise wurden ca. drei Viertel der Altstadt bei einem verheerenden Großbrand im Januar 2014 zerstört.
Als wir hier ankommen, machen wir uns wie meist an einem neuen Ort zuerst auf eine Erkundungstour zu Fuß. Auf unserem Weg Richtung Altstadt sind die Auswirkungen des Feuers nicht zu übersehen: ganze Straßenzüge sind nur noch Schutt und Asche. Die Wiederaufbauarbeiten sind in vollem Gange. Wir schlendern durch die Gassen der noch verbliebenen Altstadt und finden abseits der touristisch aufbereiteten Sehenswürdigkeit eine sympathische, entspannte Kleinstadtatmosphäre.
Obwohl die Stadt quasi über Nacht zu einer Touristendestination katapultiert wurde, konnte sie sich den Flair eines relativ unbelangten Bergdorfes in Teilen erhalten. Wir lassen uns davon anstecken und als es am nächsten Tag in Strömen regnet und wir eigentlich eine Radtour in die umliegenden Wälder unternehmen wollen, ärgern wir uns nicht lange, sondern lehnen uns zurück und verbringen den Tag gemütlich auf dem überdachten Balkon unseres Hostels. It´s Shangri-La Time 🙂

LOST IN IJIANG

Für den letzten Streckenabschnitt nehmen wir noch einmal den Bus. Eine andere Möglichkeit hätten wir auch gar nicht. Zugverbindungen gibt es hier oben (noch) nicht. Auf eine abermals holprige Fahrt gefasst, werden wir positiv überrascht: In diese Richtung sind die Straßen bereits wieder top ausgebaut. Von den Schotterpisten der vergangenen Tage zurück auf sechsspurige Highways. Die chinesische Zivilisation hat uns wieder. Zum ersten Mal schlafen wir im Bus ein – die Fahrt war einfach so geschmeidig. Nach 4 Stunden erreichen wir Lijiang.

Auch hier finden wir eine architektonisch herrliche Altstadt mit schönen dunklen Holzhäusern. Lijiang war lange Zeit die Hauptstadt der ethnischen chinesischen Minderheit Naxi. Als im Jahr 1996 ein schweres Erdbeben große Teile der Region dem Erdboden gleichmachte, wurde Lijiang im Stil der alten Naxi-Bauten wieder aufgebaut. Der Stadtkern gehört seitdem zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Altstadt ist komplett autofrei und durch die engen, kopfsteingepflasterten Gassen ziehen sich unzählige kleine Bäche, die mit zunehmender touristischer Entwicklung aber leider nicht mehr wie ursprünglich zum waschen sowie als Trinkwasser oder zum Gemüse putzen dienen.
Aus den schönen, dunklen und meist zweistöckigen Holzhäusern der Altstadt sind die ursprünglichen Bewohner aufgrund gestiegener Preise längst ausgezogen. Dafür sind Souvenirshops, Kunstgallerien, Restaurants, Teehäuser und kleine Hotels eingezogen.
Lijiang ist sehr touristisch. Keine Frage. Als wir ankommen, kommen wir mit unseren Rucksäcken kaum durch die Gassen hindurch, so voller chinesischer Touristen sind die kleinen Sträßlein. Auf der Suche nach einem Hostel verirren wir uns in dem Labyrinth aus engen Gassen, Windungen und Häuserecken. Dadurch landen wir in Gassen, die etwas abseits liegen und nicht so überlaufen sind. Wir genießen die kurzen Momente der Ruhe, bevor wir um die nächste Ecke biegen und uns wieder mittendrin im Getümmel befinden.

Abends sind die Straßen der Altstadt schön beleuchtet. Die vielen Tagestouristen sind in ihren Bussen abgefahren und wir hören das Wasser in den Bächen plätschern, als wir durch die leeren Gassen schlendern. Aus den Bars hören wir Gitarren-Livemusik und genießen die friedvolle Atmosphäre, die mit Eintritt der Dunkelheit Einzug gehalten hat.

Am nächsten Morgen unternehmen wir einem Spaziergang in den 7-Dragons-Pool-Park. Hier scheuen wir abermals den hohen Eintritt für ein Stück Natur und suchen uns unseren Weg balancierend über den Fluss daneben. Wie wir kurz darauf sehen, ist das sogar der „offizielle“ Eingang für die Touristenschmuggler 😀 Nachdem wir im Anschluss noch den Elephant Hill besteigen (was bei 30 Grad und 80 % Luftfeuchtigkeit eine sehr schweißtreibende Angelegenheit ist) und eine tolle Aussicht auf die Stadt und die umliegenden Berge erreichen, steigen wir in den Zug, der uns über Nacht nach Kunming bringt, die Haupstadt Yunnans.

UNSER FAZIT:
Die Reise auf dem Yunnan-Sichuan-Tibet-Highway ist so abenteuerlich, wie sie beschrieben wird. Die Landschaft ist spektakulär und wir konnten nochmal einen Blick auf das alte, ursprüngliche China mit seinen abgeschnittenen Bergdörfern, Eselkarren und vielfältigen ethnischen Minderheiten erhaschen. Wer es im Bus gerne bequem hat oder leicht reisekrank wird, sollte sich allerdings gut überlegen, ob er die taffen 5-6 Reisetage erleben möchte. Auch wer eine schwache Blase hat, sollte sich darauf einstellen, dass die 2. Hälfte der neunstündigen Busfahrten einem sehr lange vorkommen können und man die Landschaft vielleicht nur mit einem durch die Zähne gepressten Lächeln genießen kann.
Uns hat es sehr gut gefallen!

4 Gedanken auf \"Der wilde Westen Chinas – unterwegs auf dem Yunnan-Sichuan-Tibet-Highway\"

  1. Ni hao ihr beiden 😉

    wieder einmal ein genialer und super geschriebener Bericht. Vielen Dank für den großen Aufwand den Ihr jedes mal betreibt um uns alle an euren Erlebnissen teilhaben zu lassen.
    Den chinesischen Straßenverkehr kenne ich mittlerweile recht gut und kann euch zustimmen, dass er mehr als abenteuerlich ist.

    PS: Ich habe das Peace-Zeichen gesehen 😉

    1. Ni hao zai Shanghai 🙂
      vielen herzlichen Dank! 🙂 Wie schön, dass Du mitliest, obwohl Du gerade sicher selbst soviel erlebst! Wir sind schon total gespannt auf Deine Erlebnisse in und um Shanghai! Wie sind Deine Eindrücke von dieser Metropole? Hast Du eine gute Zeit? Oh ja, der chinesische Straßenverkehr…hast Du schon versuchen müssen, ein Taxi zu bekommen wenn es in Shanghai anfängt zu regnen? 😀

  2. Hallo lb. Weltenbummler!
    Wieder ein interessanter Bericht mit wunderschönen Bildern. Danke dass man dabei sein darf!
    Ich hab das Peace-Zeichen auch gesehen.
    Sind die Kücken angemalt oder wirklich so bunt?

    1. Ni hao nach Enzberg!
      Schön, dass Du den Kommentarbutton gefunden hast 🙂
      Zu den bunten Küken – vielleicht haben die Chinesen das Ostereier anmalen hier etwas übertrieben 😉
      Liebe Grüße,
      US

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.