Nach einer kurzen Fahrt vom winzigen Flughafen auf Espiritu Santo kommen wir in der einzigen Stadt der Insel an. Luganville erscheint uns schon auf den ersten Blick ebenso unspektakulär wie Port Villa. Die unebenen Straßen der kleinen Stadt sind staubig, Geschäfte im chinesischen Stil (soll heißen: viele Plastikartikel, die niemand braucht) säumen die Hauptstraße, alles wirkt gruschtelig und in die Jahre gekommen. Die Gehwege sind so uneben und löchrig, dass wir uns meist auf der Fahrbahn durchschlängeln. Viel Verkehr gibt es eh nicht. Einzig koreanische Mini-Kleinwägen – die innerhalb der Stadt als Taxis fungieren – und Pick-ups für den Transport von Waren und Menschen fahren durch die Straßen. Aber wir sind ja nicht wegen der Stadt nach Santo gekommen!
Seine ökonomische Glanzzeit hatte Espiritu Santo während des 2. Weltkrieges, als die Amerikaner hier nach Pearl Harbour ihren zweitgrößten Militärstützpunkt im Pazifik einrichteten. Ganze 100.000 Soldaten waren auf der Insel stationiert, die bis dahin kaum entwickelt und nur von weit verstreuten Bergvölkern besiedelt war. Was sich diese beim plötzlichen Anblick von Fliegerstaffeln dachten? Sie hielten sie für Götter! So wird auf der Insel Tanna weiter südlich sogar bis heute der Cargo-Kult für die weißhäutigen Götter gelebt, die aus der Luft kamen und Wunderdinge wie Kühlschränke und Funkgeräte aus dem Himmel mit brachten.
Da die Gefahr im Pazifik aber wie wir heute wissen damals gelinde überschätzt wurde, gab es nach Kriegsende plötzlich jede Menge Ausrüstung, Militärausstattung und Fahrzeuge, die nun mitten im Pazifik auf einer kleinen Insel nicht mehr gebraucht wurden. Wohin nun also mit dem ganzen Zeug? Eine Rückführung in die USA wäre zu kostenaufwendig gewesen. Zudem zeigten sich an der Ausrüstung durch die salzige Meeresluft schon erste Alterserscheinungen. Also boten die Amerikaner den damaligen Kolonialherren Vanuatu’s (Frankreich & England) an, die gesamte Ausrüstung für einen Bruchteil des Wertes zu übernehmen. Diese waren sich der alternativlosen Lage der Amerikaner allerdings bewusst und spekulierten darauf, die gesamte Ausrüstung früher oder später komplett kostenlos überlassen zu bekommen. Was daraufhin passierte, ist kaum zu glauben: Die amerikanische Führung entschied, die gesamten 9 Millionen Tonnen Militärausstattung im Wert von knapp 4 Milliarden Dollar stattdessen ins Meer zu kippen! Seither liegen hier in nur wenigen Metern Tiefe Tausende Jeeps, Lastwägen, mehrere Schiffe, Wellblechdächer, Waffen und Millionen Coca-Cola Flaschen unmittelbar vor der Küste im Meer! Dass all dieser Schrott nicht zu einer ökologischen Katastrophe geführt hat, ist fast schon ein Wunder. Diese unglaubliche Stätte wollen wir natürlich mit eigenen Augen sehen!
Nur wenige Kilometer weiter liegt außerdem mit der SS President Coolidge das größte zugängliche Wrack der Welt auf Grund. Versenkt nicht etwa durch feindlichen Angriff, sondern durch zwei eigene Minen bei Einfahrt in den Hafen. Wenn schon kein Feind kommt, wurde halt selbst für Action gesorgt… Gründe genug also für unseren Abstecher auf Vanuatu’s größte Insel.
Als Ausgangspunkt ist Luganville genau richtig. Direkt nach unserer Ankunft quartieren wir uns also im günstigsten Hotel der Stadt ein. Da uns der Preis für die sehr einfachen Zimmer aber selbst hier zu hoch ist, dürfen wir schließlich für 15 € die Nacht unser Zelt auf der Wiese hinter dem Gebäude aufschlagen. Hier stellen wir auch direkt fest, dass auf Vanuatu Handeln nicht üblich ist. Auf dem lokalen Markt gibt es endlich mal wieder frisches Obst und Gemüse.
Nachdem wir mehrere Tauchbasen vergleichen, geht es am nächsten Morgen mit Allan Power Dive nach einem guten Kaffee direkt los unterwasser. Anders als sonst geht es nicht mit dem Boot, sondern mit dem Minibus die wenigen Kilometer vor die Stadt dorthin, wo die SS Coolidge liegt. Uli darf auch mit. Und obwohl es für ihn nicht in die Tiefe geht, hat er später trotzdem das Highlight des Tages zu erzählen: er sieht beim Schnorcheln direkt vor ihm eine riesige Dugong! Mindestens ebenso lang wie er und doppelt so dick schwimmt diese seltene See-Kuh ganz gemächlich vor ihm an die Wasseroberfläche, bevor sie ihm direkt in die Augen schaut und daraufhin wieder in der Tiefe des Meeres verschwindet. Ein einmaliges Erlebnis!
Auch Biene’s Tauchgang zur SS Coolidge ist faszinierend. Bevor die SS Cooldige zu Beginn der 40er Jahre zum Kriegsschiff umfunktioniert wurde, kreuzte sie als Luxuskreuzer die 7 Weltmeere. Aus dieser Epoche stammt noch die luxuriöse Innenausststtung, die trotz dichtem Algen- und Farnbewuchs immer noch gut zu erkennen ist. Während Biene mit ihrem Tauchguide beim 1. Tauchgang morgens noch hauptsächlich außen um des Wracks herumtaucht und Kanonen, Gasmasken, Stiefel und andere antike Überbleibsel auf Deck bestaunt, geht es nachmittags hinein in die dunklen Tiefen des Kriegsschiffes. Die Sichtweite reicht dabei nicht weiter als die Lichtkegel der beiden Taschenlampen. Nur gelegentlich fällt bläuliches Licht durch die Schiffsluken ein. Immer tiefer dringen wir durch das enge Stahlgerippe und durch schmale Luken in den Schiffsrumpf vor. Manchmal sind die Zwischenräume so eng, dass Biene beim hindurch tauchen mit der Sauerstoffflasche an die Stahlrohre stößt. Ein bisschen mulmig ist ihr dabei schon zumute. Im Schiffsbauch erwarten uns Jeeps, LKWs und mehrere Kanonen. Auf den Ablagen liegen noch, mittlerweile von Algen bewachsene Handgranaten. Neben dem Munitionslager, den Mannschaftsräumen und den Offiziersbädern statten wir auch dem Medizinkabinett einen Besuch ab. Hier finden wir antike braune Glasflaschen, die nach wie vor verkorkt sind und neben Tabletten laut den noch immer leserlichen Etiketten Lebertran oder Hustensaft enthalten.
Ein Highlight ist es, als wir in einem sehr dunklen Teil des Schiffsrumpfes elektrische Muscheln sehen. Wie Blitze ziehen Leuchtfäden durch sie durch. Andere leuchtende Punkte in der absoluten Dunkelheit sind Flashlightfische. Genial! Wir verlassen das Innere des Schiffes nicht, ohne auch der „Hauptattraktion“ des Schiffes einen Besuch abzustatten. In 38 Metern Tiefe liegt die weisse Lady, eine edle Porzellanfigur aus den 1920ern! Das ist tiefer, als Biene mit ihrer OWD-Zertifizierung eigentlich tauchen „darf“! Aber ihr erfahrener Tauchguide hat alles unter Kontrolle und so finden wir auch wieder gut aus dem düsteren Rumpf hinaus in die einladend blaue Weite des Meeres. Obwohl es unglaublich faszinierend war, im Schiffsbauch quasi in die Vergangenheit einzutauchen, wird Wracktauchen wohl eher keine von Biene’s Leidenschaften werden. Aber als Geburtstagsgeschenk war es genial!
An dieser Stelle deshalb HERZLICHEN DANK, GOTTE & OPA!
Direkt im Anschluss an den 2.Tauchgang machen wir uns auf den Weg raus aus der Stadt. Ein Pick-up bringt uns auf der einzigen geteerten Straße außerhalb Luganville’s in den Nordosten der Insel. Unser Ziel ist der Champaign-Beach. Diese wunderschöne hufeisenförmige Bucht mit feinem, goldgelben Sandstrand könnte gut und gerne das Urmotiv aller Postkarten-Strände sein. Wir bezweifeln aber, dass er genauso wirkt wenn die Kreuzfahrtschiffe in der Bucht liegen und 2.000 Menschen hier gleichzeitig ihr Südsee-Paradies suchen.
Wir haben aber Glück: bei unserer Ankunft liegt der Strand idyllisch und einsam im goldenen Abendlicht der untergehenden Sonne vor uns. Die Besitzerin zeigt uns, wo wir unser Zelt aufstellen dürfen. Die Besitzerin? Ja! Auf Vanuatu ist jedes Stück Erde – selbst Strände, Flüsse, und Riffe vor der Küste – in Privatbesitz! Und möchte jemand anderes dieses Land nutzen – sei es wie wir, um darauf sein Zelt aufzuschlagen, sich einfach nur an den Strand zu legen, zu fischen oder zu baden, wird dafür eine Gebühr an den Grundbesitzer fällig. Ein Prinzip, mit dem wir so manches Mal während unserer Zeit auf Vanuatu hadern. Wir bezahlen hier aber natürlich die 10 € Campinggebühr und schlagen unser Zelt vor einer der einfach zusammen geschreinerten Holzhütten auf, aus denen heraus Souvenirs und Snacks an Kreuzfahrttouristen verkauft werden. Außer 2 anderen zeltenden Backpackern, die wir bereits aus Luganville kennen, ist der Strand menschenleer. In der sternenklaren Nacht nehmen wir zum Abschluss des Tages noch ein erfrischendes Bad im Meer – und plötzlich glitzert es nicht nur über uns, sondern überall um uns herum. Leuchtender Plankton! Überall! Der Strand leuchtet golden im Mondschein, über uns funkeln die Sterne und um uns herum glitzern die winzigen Planktonpartikel- Schöner kann ein Bad im Mondschein nicht sein! Es ist absolut perfekt! Im Anschluss setzen wir uns im Sand ans Lagerfeuer und schlafen schließlich unterm Sternenhimmel ein.
Nach einer ausgiebigen Erkundung der Bucht mit dem Schnorchel machen wir uns schon früh am nächsten Morgen auf den Weg zurück in die Stadt. Entgegen der Info, dass nach 9 Uhr morgens keine Autos mehr in diese Richtung fahren, haben wir mal wieder Glück und bekommen schon nach einem kurzen Marsch auf der Hauptstraße eine Mitfahrgelegenheit ON TOP der voll mit Kopra beladenen Ladefläche eines Pick-ups. Überhaupt ist das mit dem Transport und den Informationen dazu auf Vanuatu so eine Sache. Offizielle Fahrpläne gibt es so gut wie gar nicht. Schiffe fahren mal montags, mal mittwochs, mal um 8 Uhr morgens und mal erst um 22 Uhr abends – und wann genau weiß im Voraus keiner! Zuverlässige Informationen zu bekommen ist anstrengend, zeitaufwendig und manchmal schlicht unmöglich. Nach zweistündigem Abklappern von verschiedenen Reedereien und Frachtschiff-Terminals am Vortag gehen wir heute davon aus, dass die nächste Fähre erst in einer Woche fahren wird, weshalb wir mit einem Frachtschiff abends auf die nächste Insel Malekula fahren möchten. Als wir zurück in Luganville allerdings nochmal im Fährbüro vorbeischauen, gibt es plötzlich eine Fähre dorthin am übernächsten Tag!
Oh Vanuatu…mach uns das Reisen doch nicht so anstrengend! 😉
Wir werfen kurzerhand also unsere Pläne nochmal über Bord, buchen die Fähre für übermorgen und schlagen für eine weitere Nacht unser Zelt in Luganville auf. Den Nachmittag verbringen wir wieder im Wasser. Heute wollen wir uns die Stelle genauer anschauen, an denen die Amerikaner all ihre Militärausrüstung im Meer versenkt haben. Der Küstenabschnitt ist treffend Million Dollar Point benannt. Natürlich gehört auch dieses Stück Küste wieder jemandem. Da wir die 10 €, die der Grundstücksbesitzer pro Person für das Schnorcheln in seinem Stück Meer verlangt, doch etwas übertrieben finden, laufen wir ein kurzes Stück an der staubigen Straße entlang zu seinem Nachbarn. Der baut gerade ein Haus am Strand, ist dankbar als ihm Uli beim Steine tragen unter die Arme greift und lässt uns sehr gern von seinem Grundstück aus ins Meer gehen. Was wir unterwasser sehen, verschlägt uns schier die Sprache: Nur wenige Meter unter uns sehen wir Radlader, Jeeps, Schiffe…..und Millionen anderer Gegenstände liegen. Obwohl wir genau das erwartet hatten, ist es doch unglaublich all diesen Kriegsmüll mit eigenen Augen im Meer zu sehen. Heute ist ein großer Teil des Schrotts Gott sei Dank von Mikrobionismen bewachsen und bietet so Korallen und anderen Meereslebewesen zusätzlichen Lebensraum.
Da uns in Luganville selbst nichts hält, kehren wir der Stadt am darauffolgenden Tag schnell wieder den Rücken. Auf unserem Weg zum Champagner-Beach kamen wir an mehreren Blue Holes vorbei, die wir uns noch genauer anschauen möchten. Diese natürlichen Süßwasserpools sind glasklar und verdanken ihren Namen ihrem schönen türkisen Leuchten. Schon am ersten Pool möchte der Besitzer allein für den Besuch am Blue Hole 10 € Eintritt. Das ist uns dann doch etwas zu teuer für ein Wasserloch. Stattdessen einigen wir uns mit ihm darauf, auf seinem mit dichtem Dschungel bewachsenen Land für die Hälfte des Preises an einer Flussmündung am Meer zelten zu dürfen. Der Platz ist wirklich wunderschön! Aus Pandanus-Blättern bauen wir uns eine Unterlage für unser Zelt, bevor wir ein Lagerfeuer entfachen und uns darin frisch gepflückte Bananen grillen. Abends kommt dann auch noch der Nachbar mit seinem Ausleger-Kanu vorbeigepaddelt und lädt Uli zu einer Runde Kava ein. Wie schon auf Fidschi ist Kava auch auf Vanuatu DAS Nationalgetränk. Bei der hiesigen Variante wird die Wurzel jedoch nicht wie nach fijianischer Tradition zu einem Pulver verrieben, sondern stattdessen wird die noch frische Wurzel zerkleinert (traditionell: zerkaut…) direkt als Basis des gräulichen Getränks genommen. Der Geschmack ist nicht viel anders, dafür ist die Wirkung des Kava stärker! Schon nach einer Schale wird die Zunge taub und eine wohlig entspannte Wirkung tritt ein. Wir haben jedenfalls eine entspannte Nacht 🙂
Bevor wir am nächsten Morgen aufbrechen, gehen wir noch an die vorgelagerten Riffe schnorcheln. Dabei sehen wir zum ersten Mal die sichtbaren Effekte, wenn kaltes Süßwasser auf wärmeres Meerwasser trifft – besser gesagt sehen wir gar nichts! Es entsteht nämlich eine fast undurchsichtige Schicht milchiger Schlieren im Wasser! Beim anschließenden Kaffee kochen auf dem Lagerfeuer besteht unser Camping-Kochtopf noch tadellos seine „Feuer“-Probe. Wilden Campingausflügen in den Busch steht also nichts mehr im Wege 😉 Mit einem guten Zeitpuffer machen wir uns dann zurück auf den Weg zur Fähre. Unterwegs finden wir tatsächlich noch ein kostenloses Blue Hole (dessen Besitzer ist Europäer). Dass es dann trotzdem nur gerade so zur Abfahrt reicht, liegt nicht etwa daran, dass wir beim Planschen die Zeit vergessen haben – sondern daran, dass die Fähre heute 6 Stunden früher als regulär – und als auf dem Ticket verzeichnet – abfährt!
Oh Vanuatu…!
Schlimm, der ganze Kriegsmüll und in dem Schiff zu tauchen ist doch bestimmt gruselig!
Aber der Strand und dann noch leuchtend, toll!