Den Reißverschluss des Zeltes aufziehen. Erster Blick ins Freie – keine Menschenseele zu sehen. Raus in die kalte Morgenluft. Das Gras ist noch feucht unter den Füßen. Die von der Nacht noch etwas steifen Glieder strecken. Zelt zusammen packen. Rucksack aufziehen. Ein schönes Plätzchen für den morgendlichen Kaffee und die nächste öffentliche Toilette für die Morgentoilette suchen.
So beginnen wir in Neuseeland all unsere Tage. Draußen. An diesem Morgen ist unser Frühstückstisch eine Parkbank mit Blick über die unter uns liegende Stadt Dunedin. Am Horizont sehen wir das Meer. Gezeltet haben wir in einer abgelegenen Ecke des Stadtparks hinter Bäumen. Wie schon in Rotorua haben wir auch in Dunedin’s Stadtpark eine ruhige Nacht verbracht. Die einst reichste Stadt Neuseelands, deren Namen vom schottischen Edinburgh abgeleitet ist, liegt noch verschlafen unter uns. Tags zuvor kamen wir erst kurz vor Dunkelheit hier an. Gerade rechtzeitig, um noch einen Blick auf die schöne viktorianische Architektur der Altstadt zu erhaschen. Hinter uns lag ein langer Tag auf der Straße. Zwischendurch warteten wir 1 Stunde an einer Kreuzung mitten im Nirgendwo auf die nächste Mitfahrgelegenheit. Weil in dieser Zeit kein einziges Auto vorbei fuhr. Die Uhr tickt langsam im Süden von Neuseeland’s Südinsel. Wir zählten so lange die Schafe auf der Weide hinter uns. Es war ein guter Tag.
Die Morgensonne wirft ihre wärmenden Strahlen zu uns, während wir Morgensport machen und auf unserem Campingkocher Kaffeewasser kochen. Trinkwasser finden wir im Clubhaus des nahen Golfplatzes. Im Anschluss schlendern wir über den Wochenmarkt zur Stadtbibliothek, die mit kostenlosem und schnellem Wifi lockt. So langsam nähert sich unsere Zeit in Neuseeland ihrem Ende. Nur noch 4 Tage bleiben uns bis zu unserem Weiterflug nach Hawaii. Die letzten 2 Tage werden wir in Christchurch verbringen. Davor möchten wir noch einen Abstecher in das malerische Waitaki Valley machen und Familie Tyrrell besuchen, in deren Reisebüro Biene vor 10 Jahren ein Praktikum absolvierte Noch während wir uns überlegen, ob wir das wohl per Anhalter bewerkstelligen können, tut sich eine andere Möglichkeit auf: schon seit unserer glücklichen Fahrt mit Oscar zum Tongariro Alpine Crossing beobachten wir die Onlineplattform www.transfercars.co.nz. Auf dieser werden Mietwägen eingestellt, die innerhalb eines gewissen Zeitraums an einen anderen Ort gebracht werden müssen. Meist wurden diese Fahrzeuge one way gemietet und müssen an ihre Ausgangsorte zurück oder werden an einem anderen Standort zur Vermietung benötigt. Diese Rückführung ist für den Mieter in den meisten Fällen kostenlos und manchmal sind dabei sogar Sprit- und Versicherungskosten inklusive. Für die Autovermietungen ist das günstiger, als dafür einen Mitarbeiter abzustellen Wenn man wie wir in einem relativ begrenzten Zeitraum von A nach B kommen und ohne Transportkosten unabhängig voran kommen möchte also eine optimale Lösung!
Zauberwort: Mietwagenrückführung
Nachdem bisher in Neuseeland (solche Plattformen gibt es auch für andere Länder) nichts für uns dabei war, finden wir an diesem Morgen tatsächlich ein wie maßgeschneidertes Angebot: ein Mittelklassewagen muss von Dunedin nach Christchurch gebracht werden. Dem Fahrer entstehen keinerlei Kosten, eine Tankfüllung und Versicherung sind inklusive. Der Wagen kann noch am selben Tag abgeholt werden und muss erst 2 Tage später im 361 km entfernten Christchurch wieder abgegeben werden. Perfekt! Wir „bewerben“ uns online um den Wagen und eine Stunde später erhalten wir die Bestätigung. Nun heißt es wieder Daumen raus und ab zum Flughafen von Dunedin, wo wir den Wagen abholen können. Nachdem wir unsere Geschichte dem tschechischen Backpacker erzählen, der uns in seinem Van mitnimmt, fährt er begeistert für uns einen Umweg und bringt uns direkt zum Flughafen. Dort nehmen wir einen silbernen Toyota Apollo in Empfang. Zum ersten Mal seit wir unseren Lion King in Australien schweren Herzens verkauften, besitzen wir jetzt wieder ein eigenes Transportmittel. Da wir nun keinen Puffer mehr einplanen müssen und somit etwas mehr Zeit zur Verfügung haben, verbringen wir den Nachmittag auf der Otago Peninsula. Die Halbinsel und die geschützten Bucht davor bietet Seelöwen, Walen, seltenen Gelbaugen-Pinguinen und anderen spannenden Meeresbewohnern Lebensraum. Außerdem befindet sich hier die einzige Brutstätte von königlichen Albatrossen weltweit, wo die großen Seevögel mit einer Spannweite von bis zu 3 Metern auf dem Festland brüten. Wir besuchen das sehr interessante Infozentrum und sehen aus nächster Nähe sich sonnende Seelöwen, während über unseren Köpfen beeindruckend riesige Albatrosse kreisen. Bis zu 155 km/h schnell können diese beeindruckenden Seevögel durch die Lüfte gleiten.
Nach einer Nacht im Auto sind wir am nächsten Morgen noch keine 5 Kilometer gefahren, als 2 Anhalter am Straßenrand stehen. Keine Frage – natürlich nehmen wir sie mit. Wir freuen uns, dass wir direkt ein bisschen von all der Hilfsbereitschaft die wir in den letzten Wochen erfuhren, zurück geben können. Am späten Vormittag erreichen wir über die landschaftlich sehr attraktive Straße der Southern Scenic Route das Waikati Valley. Die Wiedersehensfreude bei Biene und ihrem ehemaligen Chef ist beiderseits groß. Da Patrick sich aufgrund seiner Tätigkeit in der Tourismusbranche natürlich bestens in Neuseeland auskennt, hat er noch einige Tipps für unseren Weg bis Christchurch auf Lager.
Am frühen Nachmittag brechen wir wieder auf und erreichen kurze Zeit später die neuseeländischen Alpen. Hier stehen wir am Fuße des mit 3724 Metern höchsten Berges Neuseelands, des Mt. Cooks/Aoraki. Leider ist dessen Gipfel wie an den meisten Tagen des Jahres wolkenverhangen, sodass wir unsere geplante Wanderung sein lassen. Dafür leuchten die Bergseen Pukaki und Tekapo trotz des grauen Himmels in einem strahlenden Eisblau. Sowas haben wir noch nie gesehen! Die ungewöhnlich türkise Wasserfarbe kommt durch Mineralienabrieb des Gletschergesteins zustande und sieht surreal schön aus. Da das zugehörige Örtchen Twizel sehr auf asiatische Fotosafari-Touristen ausgelegt ist, fahren wir noch etwas weiter. Wir erreichen das Dark Sky Reserve, eines der wenigen Gebiete weltweit, in denen nachts so gut wie keine Lichtverschmutzung den Sternenhimmel trübt. Das Mt. John Observatorium ist an diesem Abend leider geschlossen, dennoch können wir auch von unserem abseits gelegenen Park- und Schlafplatz einen grandiosen Sternenhimmel bewundern.
Am nächsten Morgen fahren wir die Telegraph Road entlang. Diese Landstraße war einst schnurgerade – bis das schwere Erdbeben, das im Jahr 2011 die Stadt Christchurch schwer zerstörte, einen Riss durch die Straße zog und einen Teil der Straße um mehrere Meter versetze. Der Riss ist bis heute zu sehen und für uns ein Vorgeschmack auf das, was uns in Christchurch erwarten sollte. Dessen wunderschönen – für Neuseeland’s Verhältnisse historischen – Stadtkern gibt es seit dem Erdbeben vor 5 Jahren nicht mehr. Überall im Stadtzentrum klaffen große Löcher. Gläserne Neubauten stehen dort, wo davor charmante Mauergebäude standen. Die Bauten, die dem Beben mit der Stärke 6,3 auf der Richterskala teilweise Stand hielten, sind abgesperrt und werden mit schwerem Gerät gestützt. Auch nach 5 Jahren ist noch nicht entschieden, ob die beschädigten Gebäude vollends abgerissen oder wieder aufgebaut werden. Teilweise stehen nur noch Fassaden, die Häuser dazu stürzten ein wie Kartenhäuser. Das ehemalige Wahrzeichen der Stadt, eine stilvolle Kathedrale, gibt es nicht mehr. Es ist ein bedrückender Anblick.
Wir geben unseren Mietwagen am Flughafen ab und laufen die kurze Strecke zum nahen Antarktis Center. Nach einem Rundgang durch das interessante Center nehmen wir den kostenlosen Shuttle Bus zurück in die Innenstadt. Mit Kommentaren zu den Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke ist es wie eine kostenlose kleine Stadtrundfahrt. Und unser absoluter Geheimtipp für alle, die mal einen kostenlosen Transfer vom Flughafen in Christchurch’s Innenstadt benötigen. 😉 Und dann ist es soweit: zum ersten Mal seit mehr als 2 Wochen haben wir für diese Nacht ein BETT. Wir haben uns für unsere letzten 2 Nächte via AirBnB ein Zimmer gemietet und einen echten Glückstreffer gelandet. Etwas außerhalb gelegen, mit guter Busanbindung in die Innenstadt, günstiger als ein Hostelzimmer und mit super sympathischen Gastgebern. Ach, und eine traumhaft heiße Dusche gibt es auch.
Am nächsten Tag erkunden wir Christchurch. Wir bummeln durch die Stadt, besuchen das sehenswerte Canterbury Museum und holen lang ersehnte Post auf dem Postamt ab. Neben dem bedrückenden Anblick der zerstörten Innenstadt stoßen wir auf viel Dynamik. Der neu geschaffene Raum wird genutzt für kreative Stätten der Begegnung. Als Notlösung für beschädigte Geschäfte eingerichtete Container werden zu einer dauerhaften Einrichtung – eine bunte, trendige Container-Mall. In der Mitte ein hipper Foodcourt mit Gerichten aus aller Welt. Und Pad Thai, das tatsächlich schmeckt wie in Bangkok… In der Innenstadt herrscht Aufbruchstimmung, die Schockstarre ist vorüber. Die Stadt ist nicht mehr dieselbe wie vor dem Erdbeben. Aber die Menschen Christchurch´s haben ein neues Kapitel aufgeschlagen und schreiben ihre Geschichte weiter.
Nach 2 Tagen heißt es Abschied nehmen. Frühmorgens um 5 Uhr brechen wir zu unserem Inlandsflug nach Auckland an den Flughafen auf. Da so früh morgens noch keine Busse fahren, fährt uns unsere AirBnB-Gastgeberin absolut liebenswerterweise zum Flughafen. Es ist unser letzter Lift in Neuseeland.
Damit ist unser Experiment geglückt: In 5 Wochen haben wir beide Inseln Neuseelands ohne Überland-Transportkosten (ex. Inlandsflug nach Auckland am letzten Tag und Fährüberfahrt) bereist! Yeaah! Wir haben es geschafft!