Halb 8 in der Früh. Wir müssen aufstehen. Kurz machen wir uns frisch. Wir öffnen die Tür unseres Horse Trucks und blicken auf den Darling River, den zweitgrößten Fluss Australiens. Zeit für einen guten Kaffee in der Morgensonne draußen muss sein. Über uns zwitschern die wunderschön bunt gefärbten Lorikeets und die Glockenvögel trällern ihren melodischen Singsang, Doch wir haben es eilig. Wir müssen zur Arbeit.
Horse Truck? Arbeit? Nun. Schon in Bellingen beschließen wir, dass wir einige Wochen arbeiten wollen. Australien ist ein relativ teures Reiseland, da die Lebenshaltungskosten hoch sind. Gleichzeitig sind aber auch die Löhne vergleichsweise hoch. Eine gute Idee also, hier gutes Geld zu verdienen, um in günstigen Ländern länger reisen zu können. Das günstig-leben haben wir in den letzten Monaten ja geradezu perfektioniert 🙂
Also denken wir darüber nach, was wir machen wollen, informieren uns im Internet über mögliche Branchen und über saisonale Arbeitsmöglichkeiten. Auf Fruit-Picking und ähnliche „Backpacker-Jobs“ haben wir beide keine große Lust, diese sind meist relativ schlecht bezahlt und öde – für sowas sind wir einfach schon zu alt 🙂 In die engere Auswahl kommen schließlich
- Kellnern in einer Strandbar à la „Gegen den Wind“ (=erst Bier zapfen, dann mit dem Surfbrett ab in die Wellen)
- Arbeiten auf einer Farm im australischen Outback à la „Wildes Weites Land“ (=wir spielen Jackaroo und Cowgirl)
Eine ganze Weile beobachten wir Jobangebote online und Farmarbeit ist nicht schlecht bezahlt. Schließlich geben wir auf der australischen Online-Handelsplattform gumtree eine Annonce auf. Auf dieser Plattform wird von Eisboxen über Häuser bis zu Jobs alles gehandelt – hier haben wir auch unseren Lion King gefunden. Biene ist skeptisch, ob sich da überhaupt jemand darauf meldet. Aber nachdem gleich in den ersten Tagen zahlreiche Angebote per Mail eingehen ist klar, dass das klappen könnte. Wir sind in einer Luxusposition und suchen uns ohne weiter zu suchen einfach das beste Angebot aus. Unsere Kriterien sind:
- Bezahlung
- Ort (wir wollen Richtung Südwesten)
- Art der Tätigkeit
Als wir dann 1 Woche später über den Sturt Highway in Richtung der Grenze zwischen den Staaten New South Wales und Vicotria fahren, wird uns langsam bewusst, wie remote die Farm im Weinanbaugebiet Sunraysia tatsächlich sein könnte.
Wir fahren über weite Ebenen, der Horizont scheint hunderte Kilometer weit entfernt. Soweit das Auge reicht besteht die Landschaft aus rotem Sand, Steppe und knorrigen Eukalyptusbäumen. Als Besonderheiten der kleinen Städte die wir streifen, werden in unserem Atlas deren historischer Charme, ihr Outback-Flair und immer öfter deren Country-Pubs gelistet. Hier sehen wir auch unsere ersten „Road Trains“, lange Trucks mit bis zu 14 Achsen bzw. 56 Reifen – und beladen mit einem Gewicht von bis zu 100 Tonnen. Die Nacht verbringen wir auf einem Feld neben dem ausgestorbenen Highway. Über den weiten Ebenen der Hay Plains sehen wir einen Sonnenuntergang, wie er klischeehafter nicht sein könnte. Wunderschön. Und ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen, in denen wir jeden Abend spektakuläre Abendröte sehen werden. Wir grillen, sitzen draußen hinter unserem Lion King und sehen in den sternenklaren Nachthimmel.
Nach weiteren 3 Stunden gelangen wir am darauffolgenden Tag in die Provinzstadt Mildura. Von hier sind es noch 60 km zur Farm. Wir decken uns mit Lebensmitteln ein, kaufen Arbeitskleidung und machen uns auf die letzte Etappe. Immer geradeaus geht es auf dem Highway in Richtung Norden. Würden wir aber den nächsten Ort erreichen, wären wir zu weit gefahren. Denn Pooncarrie, der nächste Punkt auf der Karte, liegt 182 km von Mildura entfernt. Das Wesen der Landschaft ist wüstenähnlich, auf den Feldern neben der Straße wächst Steppengras. Aber wir sehen auch erste Orangenplantagen und Weinstöcke. Und wilde Emus.
Monatelanger Sonnenschein und ein trockener Boden stellten die frühen europäischen Siedler vor 200 Jahren vor große Herausforderungen. Häufige Dürreperioden erstickten alle Bemühungen, die wüstenähnliche Gegend in fruchtbares Ackerland zu verwandeln, im Keim und der Anbau von Obst und Gemüse war nahezu unmöglich. Erst Ende des 19. Jahrhunderts brachte ein von den kanadischen Brüdern Chaffey entwickeltes Bewässerungssystem den Durchbruch für die Entwicklung und Besiedlung des Bezirks. Heute ist Sunraysia als Anbaugebiet für Zitrusfrüchte und Wein bekannt. Für die ist das trockene Klima ideal. Vor allem der hiesige Chardonnay und Bulkwein haben signifikanten Anteil am Weinexport Australiens. Den Chardonnay haben wir noch nicht versucht, aber die Beliebtheit des Bulkweins können wir verstehen 😀 Den gibt es hier zu 10 AU$ à 4 Liter in der Bag-in-Box (=Alutüte in Karton) – übrigens eine australische Erfindung, die in den 70ern wesentlich zur Steigerung des Weinkonsums in Australien beigetragen hat.
Und zur Lese des Weinjahrgangs 2015 sind wir hier. Unser offizieller erster Arbeitstag…beginnt noch am selben Abend. Einen Tag früher als geplant wird heute das erste Mal in diesem Jahr geerntet und dementsprechend herrscht bei unserer Ankunft auf der Farm schon reger Betrieb. Nach einer kurzen Begrüßung zeigt uns der Farmer Mat unser Heim für die kommenden Wochen – einen umgebauten Pferde-Turnier-LKW.We love it 😀
Geerntet wird nachts, weil die Trauben durch die Hitze tagsüber zu schnell fermentieren würden (oft erreicht die Temperatur tagsüber um die 40 Grad Celsius – nachts kühlt es auf 25 Grad ab). Eigentlich sollten wir nur mit zur 1. Ernte fahren, um uns die Abläufe schonmal anzusehen. Als allerdings der Trauben-Vollernter nicht so funktioniert wie er soll, wird Uli kurzerhand gleich als Mechaniker eingespannt.
Am nächsten Morgen geht es dann richtig los. Uli wird zum waschen des Vollernters eingeteilt und bekommt gezeigt, wie die Maschine mit Fett abgeschmiert werden muss. Das waschen nach der Ernte sowie das Vorbereiten für den nächsten Einsatz soll für die nächsten Wochen sein Job sein – unter anderem. Den Nachmittag verbringen wir erstmal damit, die Werkstatt aufzuräumen. Noch liegt alles kunterbunt durcheinander – es ist kruschtelig, wie Uli sagt.
Alles ist groß – der Vollernter, die Weinberge (= große Felder), die Weiden, die Farm! Dabei ist sie mit 5.000 Hektar für australische Maßstäbe eher klein. Uns kommt sie riesig vor. Allein für die Hofauffahrt braucht man mit dem Auto ab der Abzweigung von der Straße bis zum Wohnhaus 3 Minuten.
Neben den Weinbergen, in denen auf 30 Hektar Chardonnay, Merlot und Sauvignon Blanc angebaut werden, gehören zur Farm noch große Heuwiesen, Getreidefelder und dahinter weitläufige Weiden, auf denen sich ca. 300 Rinder tummeln. Und nicht zu vergessen die 7 Pferde. Die sind allerdings Freizeitvergnügen.
Bis zur nächsten Ernte sind es noch einige Nächte, die Erntesaison läuft erst allmählich an. Solange heißt es für Uli Maschinen warten und auf Vordermann bringen. Er darf seine Kenntnisse als Landmaschinenmechaniker unter Beweis stellen und schrauben, bis ihm die Handgelenke weh tun. Biene´s Job besteht währenddessen darin, Proben von den verschiedenen Weinsorten einzuholen (anhand des Zuckergehalts wird gemessen, wie reif die Trauben bereits sind), Maschinen von A nach B zu transportieren oder auch mal die Rinder und Pferde mit Heut zu füttern.
Abends sitzen wir in der ersten Woche oft bei Mat auf der Veranda. Zum einen, weil wir nur direkt am Wohnhaus Handyempfang haben – und auch das nur, wenn der Wind richtig steht. Trotz Signalverstärker. Zum anderen kommt immer irgendjemand vorbei, bringt Bier mit und es gibt BBQ. Oder es kommt niemand, dann bringt Mat Bier und es gibt BBQ. Einen Grund zum gemütlich Beisammen sitzen gibt es fast immer 🙂
Ab Sonntag geht dann die Weinernte richtig los. Fast jede Nacht ist der Vollernter jetzt im Einsatz. Und damit auch Uli. Zu Beginn besteht seine Aufgabe noch darin, von oben auf dem Vollernter zu kontrollieren, dass alles richtig läuft. Oder mit einem der Traktoren, auf deren Anhänger (=Bins) die Trauben geschüttet werden, parallel zum Vollernter durch die Reihen zu fahren. Aber schon bald sitzt er in der Fahrerkabine des Vollernters und lenkt das 6 Meter hohe Monstrum durch die Weinreben. Mat erntet nicht nur seine eigenen Trauben, sondern als Lohnunternehmer auch auf den Weinguten in der Umgebung. Wann welche Weinsorte geerntet wird, gibt die Winzerei vor.
Je nach Tagetemparatur geht es meist zwischen 18 Uhr und 20 Uhr los mit der Ernte. Davor werden die Maschinen (Vollernter, Traktoren und Teleskop-Lader) zu dem Weingut gebracht, auf dem geerntet wird. Pro Nacht werden zwischen 40 und 90 Tonnen geerntet. Das geht dann meist bis Tagesanbruch. Während Mat im Anschluss die vollen Bins mit dem Teleskop-Lader auf die schon bereit stehenden Road Trains verlädt, fährt Uli den Vollernter zurück und reinigt ihn für den nächsten Einsatz.
Wenn er dann in der Früh´ ins Bett geht, steht Biene schon wieder auf. Ihre Hauptbeschäftigung ist das Abschrauben der Sprinklerköpfe der Bewässerungsanlage vor dem Ernten und das Wiederanschrauben danach. Bei durchschnittlich 140 Sprinklern pro Feld auf einer Höhe von 2 Metern durchaus als Bizeps-Workout geeignet 😉 Daneben wird sie zum Putzen von allem möglichen eingespannt – Fensterscheiben des Vollernters, Fahrerkabinen, etc. Am liebsten wäscht sie die Traktoren mit dem Hochdruckreiniger, hehehe. Wird auf Mat´s Farm geerntet, bedient Biene den Frontlader und lädt mit diesem während der Ernte die Bins auf die Anhänger der Traktoren. Ansonsten hat sie gegen Spätnachmittag Feierabend. Meistens schnappt sie sich dann eines der Pferde und geht entweder ins Gelände oder reitet auf dem Reitplatz hinter dem Haus.
Dazwischen spielt sie Hausfrau und wenn Uli dann aufsteht, gibt es Mittagessen. Dann heißt es für Uli wieder arbeiten… So ausgefüllt vergehen die ersten 4 Wochen wie im Fluge. Meist fährt Biene einmal in der Woche in den nächsten Ort (Wentworth, „nur“ 45 km von der Farm entfernt und damit eine Viertelstunde näher als Mildura) zum Wocheneinkauf. Der gemütliche kleine Ort, in dem Darling River und Murray River – die beiden größten Flüsse Australiens – zusammen fließen, hat einen Supermarkt, eine Bibliothek und eine Touristeninfo – aah, und natürlich den obligatorischen Pub 😀
In unseren freien Stunden sitzen wir ganz gemütlich draußen vor unserem Horse Truck. Große Eukalyptusbäume spenden Schatten. Ohne Internetzugang fühlen wir uns vor allem am Anfang abgeschnitten von der Außenwelt. Aber es tut auch gut. Die Zeit vergeht langsam. Wir hören nur die Vögel. Hinter uns fließt langsam der Darling River.
Einmal kommt uns morgens ein großer Waran besuchen. Ihn hat wohl der Geruch unseres Grills angelockt. Auch ein Echidna kommt ab und zu vorbei und schlurft ganz ohne Scheu direkt an uns vorbei. Weniger willkommene Besucherin ist die handteller-große Spinne, die in unserer Küche hinter den Spaghetti hervor krabbelt, als Biene kochen will. Aber auch das ist Australien. Wir sind im Outback 🙂
Hier draußen hat das Leben seinen ganz eigenen Charme!