„Leben ist das, was passiert, während wir damit beschäftigt sind, andere Pläne zu schmieden“.
Dieser Spruch trifft ganz gut, was bei uns gerade los ist. Denn eigentlich hatten wir – ganz unüblich für uns – das nächste halbe Jahr komplett geplant und durchorganisiert. Eine Wintersaison in den Rocky Montains zu (er-)leben war einer der Hauptgründe, weshalb es uns für ein Jahr nach Kanada zog. Im Laufe des Oktobers hat sich dann auch nach und nach alles perfekt ergeben:
Wir beide bekommen Jobangebote im Panorama Resort. Dieses Skigebiet war von Anfang an eines unserer Favoriten: Super Schneebedingungen, anders als die bekannteren Skigebiete wie Whistler oder Banff ist es nur selten überfüllt, es bietet gute Arbeitsbedingungen plus Personalvorteile und ist gut gelegen. Anfang Dezember geht die Skisaison los und dauert bis Mitte April. Passt!
Die Personalunterkünfte am Berg sind leider bereits alle vergeben, aber nach etwas Suche finden wir ein gemütliches, großzügiges und toll eingerichtetes Haus im nahen Dorf. Zwar keine Ski in/Ski out-Möglichkeit wie am Berg, dafür aber in direkter Nähe zum See, der winters zufriert und als längste Eisbahn der Welt sogar einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde hält. Wir sehen uns bereits an unseren freien Tagen morgens Schlittschuh fahren und Langlaufen und abends am Ufer entlang joggen. Ende November können wir einziehen. Da das Haus recht groß ist, wollen wir der 2 der 4 Schlafzimmer an zukünftige Kollegen untervermieten. In null Komma nichts finden sich ein sympathischer Engländer und eine nette Australierin. Passt!
Auf Skeena Meadows arbeiten wir noch bis Mitte November. Wir gönnen uns noch 2 Wochen Zeit zum Reisen, bevor die Wintersaison startet. Zum Wandern und Zelten ist es mittlerweile zwar zu kalt, aber auch für diese Jahreszeit bietet Kanada etwas Besonderes: Nordlichter und Eisbären! Während sich die Reise zu den Nordlichtern nach Yellowknife ganz wunderbar fügt und wir dort im Apartment unserer Arbeitgeber wohnen dürfen, gestaltet sich der geplante Abstecher in die Subarktis zu den Eisbären schwieriger! Es will einfach nichts so recht zusammen passen. Und so beschließen wir nach wochenlanger Recherche, Planung und viel Hin und Her, darauf zu verzichten. Mittlerweile könnten wir einen Reiseführer über die „Eisbären-Hauptstadt der Welt“ Churchill in Manitoba schreiben, ohne jemals selbst dort gewesen zu sein. Ganz ehrlich, vor allem Biene ist zu diesem Zeitpunkt ziemlich frustriert. Naja, aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben…!
Nach Manitoba wollen wir dennoch reisen und stattdessen ein Wochenende in dessen Hauptstadt Winnipeg verbringen. Die Flüge sind bereits gebucht und ehrlich gesagt…wir haben da diesen winzigen Funken Hoffnung, dass sich wie schon öfters in letzter Minute doch noch irgendwie eine Möglichkeit auftut, zu dem Eisbären zu gelangen….you never know!
In den letzten Tagen auf dem Anwesen sind wir noch gut beschäftigt: Wir wollen das gelichtete Waldstück noch vollends von Geäst und Baumstümpfen befreien, die Hunde sowie die Fasanen müssen versorgt werden, Feuerholz gemacht und der Ofen geheizt werden, einige kleinere Projekte stehen auch noch an. Nicht zuletzt hat auch unser Koch Urlaub und wir müssen uns selbst verpflegen. Was nach 4 Monaten Rundumverköstigung auch wieder eine Umstellung ist.
Dann am vorletzten Arbeitstag passiert es: Biene gerät mit dem Allrad-Buggy auf dem gefrorenen Weg ins Schleudern, rutscht eine kleine Böschung hinauf und das Fahrzeug kippt um. Im Krankenhaus stellt sich heraus, dass der linke Knöchel gebrochen und ein Band gerissen ist. Noch lässt sich nicht ausschließen, dass ein weiterer Knochen ebenfalls gebrochen ist, was eine OP bedeuten würde. So oder so lautet die Prognose 6 Wochen Gips, jede Woche Röntgen und keinerlei Belastung des Beines. Uuumpf!
Das bringt natürlich erstmal alles heftig durcheinander! Was machen wir jetzt? Fliegen wir dennoch? Können wir überhaupt? Wie organisieren wir das alles? Und vor allem: was wird jetzt aus Biene´s Job als Liftie in 3 Wochen?!
Schnell ist klar: an der Situation können wir nichts ändern. Ist jetzt halt so, auch wenn es sch*** ist! Was aber in unserer Hand liegt, ist die Entscheidung, wie wir mit dieser Situation umgehen. Wir beschließen, das Beste daraus zu machen!
2 Tage später fliegen wir deshalb trotz Klotz am Bein nach Winnipeg. Schnell stellen wir fest, dass Winterpeg seinem Spitznamen alle Ehre macht: Schon bei unserer Ankunft mitten am Tage erwarten uns frostige minus -25 Grad Celsius. Direkt nach unserer Landung leihen wir uns einen Rollstuhl für unsere 4 Tage vor Ort. So sind wir doch einiges mobiler als nur mit den Krücken.
Dick eingemummelt erkunden wir die kommenden 3 Tage rollend Manitoba´s Hauptstadt: Wir spazieren am bereits zugefrorenen Fluss entlang, werfen einen Blick in das architektonisch interessante Regierungsgebäude, erkunden das historische Zentrum und schauen uns den lokalen Weihnachtsumzug an. Länger als eine Stunde halten wir es in der beißenden Kälte und dem eisigen Wind, der durch die Straßen pfeift, allerdings nicht aus – zwischendurch wärmen wir uns immer wieder in gemütlichen kleinen Cafés auf. Besonders gut gefallen uns die Forks Markets, eine historische Markthalle mit originellen kleinen Shops und kulinarischen Delikatessen aus aller Welt. Einen Tag verbringen wir im super interessanten und spannend komponierten Museum of Human Rights.
An unserem letzten Tag in Winnipeg sehen wir schließlich doch noch Eisbären – wenn auch nur im Assiniboine Zoo. Dieser arbeitet eng mit mehreren Tierschutzorganisationen und Forschungsstationen zusammen und neben einem tollen Arktis-Habitat gibt es auch viele Infos zu wichtigen Themen wie Klimawandel und Schutz des arktischen Lebensraumes. Es ist beeindruckend, die weißen Giganten aus nächster Nähe beim Schwimmen, Raufen und Tauchen beobachten zu können – dennoch ist es natürlich nicht dasselbe, wie Tiere in freier Wildbahn und in ihrem natürlichen Lebensraum anzutreffen. Wenn wir uns auch sicher sind, dass sich die Eisbären bei den Temperaturen in Winnipeg an diesem Tag pudelwohl fühlen…
Dienstags fliegen wir weiter nach Yellowknife. Dass die Hauptstadt der Nordwest-Territorien gut 1.000 km weiter nördlich liegt als Winnipeg macht sich in karger, bereits verschneiter Tundra rundum und nochmals 10 Grad kälteren Temperaturen bemerkbar.
Auch hier leihen wir uns zuallererst einen Rollstuhl, um nicht ganz auf Winterspaziergänge verzichten zu müssen. Wir beziehen das Apartment der Besitzer von Skeena Meadows im zweithöchsten Gebäude der Stadt und schauen vom Erkerfenster aus dem Schneegestöber zu. Vom neunten Stock aus haben wir einen guten Blick über die 20.000 Einwohner zählende Stadt und die Seen rundum. Diese sind bereits vereist – noch ungefähr einen Monat wird es dauern, bis das Eis dick genug ist und die Eisstraßen eröffnet werden können. Yellowknife liegt am Ende der Straße – von hier aus Richtung Norden kommt bis zum Nordpol nur noch Tundra, Wasser und Eis. Alles, was nördlich von hier liegt (hauptsächlich Diamantminen und Inuit-Siedlungen), ist sommers nur per Wasserflugzeug und winters nur über diese berühmt-berüchtigten „Ice Roads“ zu erreichen.
Während Yellowknife selbst im Winter nichts besonders Sehenswertes ist, ist es seine Lage, dass seinen besonderen Reiz ausmacht. Abgesehen von den unterirdischen Gold- und Diamantvorkommen in dem Gebiet liegt der Hauptanziehungsgrund Yellowknife´s im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft: In den kalten Winternächten können hier regelmäßig Aurora Borealis (Nordlichter) am dunklen Nachthimmel beobachtet werden. Yellowknife bietet dafür so gute Bedingungen, dass es sogar den Titel „Hauptstadt der Nordlichter“ trägt und jede Winternacht durchschnittlich zwischen 300-500, größtenteils asiatische, Touristen anlockt. Die Aurora Borealis einmal mit eigenen Augen über den Nachthimmel tanzen zu sehen, ist ein Traum, den auch wir uns hier erfüllen wollen. Wenn das klappt, ist es auch nicht schlimm, dass es derzeit mit Schlittenhundefahrt, Schneemobilausflügen und Schneespaziergängem nichts ist.
Und hier sind wir jetzt also.
Bisher schneit es fast durchgehend und der Himmel hängt voller Schneewolken. Tagsüber unternehmen wir rollend kurze Spaziergänge, besuchen das Museum und kommen dank den Kontakten der Besitzer von Skeena Meadows auch über die Stadt hinaus und raus in die schöne, wilde Umgebung. Zwischendurch legen wir immer wieder Pausen auf der Couch ein, damit Beine ihr Bein hochlegen kann. Die Tage hier sind kurz: Sonnenlicht hat es nur zwischen 10 Uhr und 15 Uhr – bereits um 16 Uhr ist es stockdunkel. Bis morgen hoffen wir noch auf ein Aufreißen der Wolkendecke und tanzende Nordlichter. Dann werden wir nach Calgary fliegen und dort 2 Tage verbringen. Ein weiterer Röntgentermin steht an, bevor wir donnerstags mit dem Shuttlebus des Skigebiets Invermere erreichen und hoffentlich in unser Haus einziehen können.
Wie es im Skigebiet laufen wird, ob Biene trotz Gipsfuß arbeiten kann, ob eine OP notwendig sein wird, wann sie wieder Ski fahren kann – all das wissen wir noch nicht.
Wir wissen nur eins: egal was kommt, wir werden das Beste daraus machen!