Nach unserem Gipfelsturm auf den Huang Shan hatten wir 2 Möglichkeiten:
1) Uns eine Woche gar nicht mehr bewegen, bis der Muskelkater aus unseren Beinen wieder verschwunden sein würde
2) Weiterwandern, damit er schneller vergeht.
Möglichkeit 1 – langweilig, wir wollen ja etwas erleben! Also entschieden wir uns, die traditionellen Dörfer der Provinz Jianxi zu erkunden. Vor Treppen sollten wir hier sicher sein 😉 So machten wir uns am Morgen nach unserem Abstieg noch etwas steifbeinig aus Mr. Hu´s Hotel auf, um nach 3 Stunden Busfahrt in der Stadt Wuyuan anzukommen. Diese ist Ausgangspunkt für den öffentlichen Nahverkehr zu den Dörfern und für mehr auch nicht lohnenswert.
Die Dörfer rund um Wuyuan sind vor allem bei chinesischen Touristen so beliebt, dass die meisten von ihnen Eintritt kosten. Wir entschieden uns daher für die weniger bekannten, entlegeneren Dörfer Guankeng und Lingjiao, die nicht weniger pittoresk, aber umsonst und dafür vielleicht auch etwas weniger „touristisch aufgehübscht“ sind – was uns eh besser gefällt. Nachdem die ersten Einheimischen die Dörfer nicht einmal kannten, waren wir uns sicher, die richtigen ausgewählt zu haben 🙂 Der Busfahrer kannte Guankeng zum Glück und nach einer lustigen Fahrt mit vielen staunenden Einheimischen kamen wir dort gegen Spätnachmittag an.
Es führt genau eine Straße in das kleine, vielleicht 150 Einwohner umfassende Dörflein – und diese Straße endet auf dem Dorfplatz. Im Ort selber gibt es nur Fußwege. Als wir da waren, wurde gerade ein neues Haus gebaut – die Steine dafür wurden auf dem Dorfplatz abgekippt und von dort mit zweirädrigen Ziehkarren mit 2 Menschenstärken zu dem Bauplatz gekarrt. Hier hatten wir es gefunden – das ländliche, ursprüngliche China.
Guankeng mit seinen weissen Steinhäusern und schwarzen Schieferdächern liegt idyllisch in einem langgezogenen bewaldeten Tal, ist umgeben von Reiseterrassen und Teefeldern und wird von kleinen Bächen durchzogen. Die Menschen gehen hier in aller Seelenruhe ihrem Tagesgeschäft nach und der Tourismus ist (noch) keine Haupteinnahmequelle. Den Nachmittag verbrachten wir damit, durch die umliegenden grünen Reisfelder zu spazieren, den Einheimischen beim Pflanzen der Reissetzlinge und Pflücken der Teeblätter zuzuschauen (alles Handarbeit) und die Gassen des Dörfleins zu erkunden. Ein heftiger Regenschauer gab uns die Möglichkeit, mit einigen Dorfbewohnern näher in Kontakt zu kommen, da ein überdachter Vorplatz zum zentralen Treffpunkt für die eilends zurückkommenden Feldarbeiter wurde 🙂 Unsere Rucksäcke packten wir diese Nacht im Gästehaus einer lokalen Familie aus, die uns auch ein leckeres Abendessen zubereitete. Ein Restaurant gibt es nicht im Dorf.
Am nächsten Morgen brachen wir bei Tagesanbruch auf, um ins 10 km entfernte Dorf Linjiao zu wandern. Der Pfad führte uns auf einer historischen Postroute zunächst zwischen Reisterrassen und Teeplantagen entlang eines kleinen Flusses durch das Tal, bevor es über einen Berg auf die andere Talseite ging. Mit unserem ganzen Gepäck auf dem Rücken und bei geschätzten 80% Luftfeuchtigkeit nutzten wir spontan die frühe Stunde für ein morgendliches Bad im angenehm frischen Fluss. Gegen Mittag kamen wir in Linjiao an. Auch hier kamen wir bei einer lokalen Familie unter und ließen den Tag gemütlich auf der Dachterrasse ausklingen. Die dörfliche Stille wurde nur ab und zu von vorbei ziehenden Büffeln unterbrochen…
Am kommenden Tag gönnten wir unseren Beinen eine Pause und kamen nach einem vollen Reisetag, der morgens um 6 Uhr begann und uns zuerst per Bus von Linjiao nach Wuyuan, von dort mit dem Bus nach Nanchang und weiter mit dem High Speed Train über Wuhan nach Ychang brachte, nach 15 Stunden noch am selben Tag am Fluss Yangtze an. Hier war unser erstes Ziel der 3-Schluchten-Staudamm, der bei seinem Bau vor einigen Jahren für viele Schlagzeilen sorgte und bis heute unter Menschenrechtsaktivisten, Ökologen und Geologen sehr umstritten ist. Mit seinen 185 m Höhe und 2 km Länge ist er zwar nicht der höchste, aber der längste Staudamm der Welt. Würde er brechen, würde das innerhalb einer Stunde den sicheren Tod von mind. 4 Millionen Menschen bedeuten. Auch die Auswirkungen der Stauung auf die Umwelt sind gewaltig.
Unser erster Eindruck des Staudammes war, dass er gar nicht so gewaltig aussieht, wie es all die Superlative die ihn charakterisieren, vermuten lassen (größter Staudamm der Welt; die Stromproduktion des Wasserkraftwerkes ist äquivalent zu der Stromproduktion von 18 Atomkraftwerken; der angestaute Flussteil erstreckt sich auf 55o km und ist flächenmäßig so groß wie Singapur; etc. etc.). Irgendwie hatten wir ihn uns beeindruckender und größer vorgestellt. Das könnte zum Teil aber auch daran liegen, dass der Stausee teilweise abgelassen war, als wir da waren und der unterschiedliche Höhenstand des Flusses nicht so sichtbar war. Um die hohe Eintrittsgebühr von 100 RMB (knapp 12 €) für die Touristen-Aussichtsplattform zu umgehen, fuhren wir mit dem öffentlichen Bus für 2 RMB (0,24 €) bis zur Endstation auf die andere Flussseite. Hier stiegen wir auf einen Berg und genossen eine ebenso gute – kostenlose – Sicht auf den Staudamm. Yeah, Backpacker-Sightsseing!! 😀
Nach einer kleinen Stadtbesichtigung gingen wir am nächsten Nachmittag an Bord eines Tragflächenbootes, um auf dem Yangtze durch die bekannten 3 Schluchten (Namensgeber für den Staudamm) in Richtung Chongqing zu schippern. Die Angebote für Kreuzfahrten auf dem Yangtze sind unzählig und vom internationalen Kreuzfahrtschiff (die teuerste und komfortabelste Option) über Schiffe unter chinesischer Flagge bis zur regulären Passagierfähre ist alles vorhanden, um je nach gewünschtem Komfort und Budget mehrstündige bis 5-tägige Kreuzfahrten durch die 3 Schluchten zu unternehmen. Wir entschieden uns für den ersten Abschnitt für die reguläre und schnelle Passagierfähre, die uns in 3 Stunden nach Wushan bringen sollte. In Wushan, eine kleine Stadt ca. in der Mitte des Weges zwischen Ychang und Chongqing, wollten wir von Bord gehen und mit einem kleineren Boot am nächsten Tag die 3 Kleinen Schluchten befahren, die laut Reiseführer von vielen Reisenden als noch eindrucksvoller als ihre großen Namensgeber empfunden werden.
Der nächste Tag war Uli´s Geburtstag und gleichzeitig Freitag, der 13.! Eigentlich Uli´s Glückstag. Tja, was sollen wir sagen – an diesem Tag hatten wir zum ersten Mal auf unserer Reise richtig Pech und wir haben die 3 kleinen Schluchten leider nicht gesehen. Wir ließen uns vor dem Schiffsterminal von einem Kapitän „abschleppen“, der uns zum gleichen Preis eine Privattour zu den 3 Kleinen Schluchten anbot. Da es bereits nachmittags war und die reguläre Tour nur morgens ging, sahen wir darin unsere Chance, doch noch an diesem Tag zu den 3 Kleinen Schluchten fahren zu können. Langes Drama, kurzer Inhalt: Es war ein Reinfall – der Kapitän brachte uns nicht wie vereinbart dahin, wo wir hinwollten und es wurde recht hässlich.
Am nächsten Tag regnete es zu allem Überfluss, sodass eine Bootstour keinen Sinn machte. Weder zu den 3 Kleinen noch weiter auf dem Yangtze durch die 3. große Schlucht. Da uns die misslungene Tour zudem etwas die Lust an Wushan verdorben hatte, wollten wir auch nicht länger in der Stadt bleiben und warten, bis das Wetter wieder besser wurde. Daher entschieden wir uns für den restlichen Streckenabschnitt bis nach Chongqing für den Bus. Hier war es nicht so tragisch, dass wir beim Blick aus dem Fenster nur grau sahen 😉
Chongqing ist in China vor allem für eines bekannt: das scharfe Gericht huoguo (=Hotpot) – in der schärfsten Variante ganz Chinas! Hotpot (zu deutsch „scharfer Topf“) besteht aus einer sehr scharfen Brühe, die in einem großen Topf auf einen Herd direkt im Tisch gestellt wird. Da köchelt sie vor sich hin. Aus einer großen Auswahl an Fleisch, Fisch und Gemüse sucht man sich dann all die Zutaten aus, die man essen möchte und bekommt diese roh zum selbst kochen. Seine besondere Schärfe verdankt das Gericht einem Mix aus Chili und dem Sichuan-Pfefferkorn, eine Pfefferart, die in der benachbarten Provinz Sichuan wächst und deren im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Schärfe eine betäubende Wirkung hat.
Wir haben das natürlich gleich am Abend unserer Ankunft ausprobiert. Wir essen ja gerne scharf. Und das war es auch. Lecker und sehr, sehr scharf. Wir waren echt froh um die betäubende Wirkung des Sichuan Pfeffers – so spürten wir die Schärfe nach einer Weile nicht mehr auf der Zunge….uns wurde trotzdem noch ordentlich heiß und wir haben mehr als ein Bier zum Essen gebraucht 😀
Ursprünglich hatten wir vor, in Chongqing 3 Tage zu bleiben. Als wir in unserem vorgebuchten Hostel ankamen, entschieden wir uns allerdings um. Das Hostel lag in einem Bezirk, der – so vermuten wir – mit großer Sicherheit einer der nächsten ist, der „rehistorisiert“ wird. Diese Vermutung legte auch der Zustand des Hostels nahe, in das ganz offensichtlich schon längere Zeit nicht mehr investiert wurde. Als wir unser Zimmer sahen – oder besser „rochen“ – und Uli abends auch noch ein kleines, ekliges Tierchen entdeckte, das mit „K“ anfängt, waren wir froh, dass wir nur eine Nacht im voraus gebucht hatten und am nächsten Tag weiterziehen konnten. Und Biene war ganz besonders froh, dass Uli ihr von seiner Entdeckung erst am nächsten Morgen erzählte 😀
Wir schieben auch dieses Pech darauf, dass es in Deutschland noch Freitag, der 13. war 😀
So sagten wir am nächsten Tag Zaijian zu Chongqing und stiegen in den Expresszug, der uns in 2 Stunden nach Chengdu bringen sollte. Hier hatte unsere kurze Pechsträhne auch schon wieder ein Ende…
UNSER FAZIT ZUM YANGTZE-CRUISE
Obwohl wir ein bisschen Pech mit dem Wetter hatten, war die Fahrt auf dem Yangtze durch die tiefen, dicht bewaldeten ersten 2 Schluchten schon sehenswert und erinnerte uns an die Fjorde in Norwegen. Allerdings ist das Wasser des Yangtzes leider einiges brauner gefärbt als die Gewässer in Skandinavien.
Liebe Biene, lieber Uli,
hatte heute endlich mal wieder Zeit, eure letzten drei Berichte zu lesen ( Die WM raubt einem ja einige Abende, die anderen sind meist anders belegt ). Nun gut. Die chinesische Welt kommt einem richtig nahe angesichts der Beschreibungen und der Bilder. Interessant, dass der Eintritt nach China erstens nichts kostet und zweitens mit einem Regenborgen gekennzeichnet ist. (Halte morgen einen Taufgottesdienst zum Thema Regenbogen, weiß aber nicht ob die Chinesen unsere Regenbogendeutung kennen)
Weiterer Eindruck aus euren Berichten: sind zwei Schwaben in China ….?! Es geht natürlich bei uns Schwaben ums Feiern ( Bier und Schnäpse) und um Eintritte, die man entweder bezahlen muss oder zu umgehen versucht. Die Schläue von euch zwei Schwaben zeigt, dass letzteres auch gelingt. Werde unserem Bürgermeister in Mecka vorschlagen, mal zu überlegen, ob Mecka nicht auch Touri-Eintritt verlangen könnte.
Auf was ich gespannt bin, wenn ich euch wieder sehe: auf eure Beinmuskulatur. 50.000 Stufen, da freut sich doch jede Krankenkasse, zumal Bewegung die beste Medizin ist. Das es mit dem Drei-Schluchten-Staudamm nicht so geklappt hat, hat auch den Vorteil, dass Sehnsüchte bleiben und nicht alles als erledigt abgehackt wird. Also kurze Notiz auf eure Lebensplanung: unbedingt nochmals hinfahren.
Was mich als Sozialethiker natürlich freut: dass ihr auch die andere Seite von China seht; nicht nur aufstrebende Industrienation, sondern auch Bauern- und Bettlerstaat. Noch ein Rätsel meinerseits: Die Provinzdörfer, die von euch besucht wurden, haben die schon Englisch im Portfolio oder läuft es nach schwäbischer Art: mit Händ und Füß?
Dies auf die Schnelle ein paar Eindrücke. Ich freue mich auf weitere Eindrücke, die nicht nur euch, sondern mir und den anderen eine andere Sicht auf die Welt geben, leider wissend, dass ich sie nie direkt, sondern nur berichtend wahrnehmen kann. In vier Wochen ist bei uns Ferienzeit, da können wir alle viel, viel lesen. Ich lass mich gerne überraschen und wünsche euch intensive Begegnungen mit den Menschen vor Ort, saubere Betten ( wo die Kleinlebenwesen draußen sind) und tiefprägende Eindrücke der Schöpfung.
Liebe Grüße
Werner